Serie Kulturelle Vielfalt
Religion und Medizin
Serie „Kulturelle Vielfalt“
- Klare Rollenverteilung
- Religion und Medizin
Nach den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes leben in Deutschland zwischen vier und viereinhalb Millionen Muslime, und Studien gehen davon aus, dass bis 2020 die Fünf-Millionen-Marke deutlich überschritten wird. Schon jetzt sind 5 Prozent der in Deutschland lebenden Bevölkerung Muslime. Grund genug sich mit den religiösen Fakten zu beschäftigen, die direkten Einfluss auf das Gesundheitsverhalten und die medizinische Versorgung haben.
Umgang mit Scham
Das Schamgefühl ist bei den Muslimen durch ihren Glauben sehr stark ausgeprägt. Das Verständnis von körperlicher Unversehrtheit und Intimität ist hier besonders wichtig. Davon lässt sich sowohl die charakteristische Bedeckung des Körpers oder einzelner Körperteile ableiten wie auch der distanzierte körperliche Umgang zwischen Personen unterschiedlichen Geschlechts, die nicht verwandt oder verheiratet sind.
Nun ist bei einem Arztbesuch körperlicher Kontakt in der Regel unvermeidbar. Der islamische Glaube erkennt den Krankheitsfall deshalb auch als Ausnahmezustand an, bei dem körperlicher Kontakt nicht gleichzusetzen ist mit dem Körperkontakt im alltäglichen Leben.
Trotzdem legen viele Muslime großen Wert darauf, von gleichgeschlechtlichem medizinischem Personal untersucht und behandelt zu werden. Wenn es im Rahmen der Praxis irgendwie durchführbar ist, ist es daher sinnvoll, dass Behandlungen muslimischer Patienten von Personen desselben Geschlechts durchgeführt werden.
Religiöse Pflichten
Viele Muslime legen großen Wert auf das Einhalten der islamischen Grundpflichten. Das Fasten im Monat Ramadan gehört trotz der körperlichen Anstrengungen zu den am häufigsten praktizierten islamischen Pflichten. Es bedeutet den Verzicht auf flüssige und feste Nahrung von der Morgendämmerung bis nach Sonnenuntergang.
Stillende, Schwangere und Kranke sind nach dem Koran zwar von der Pflicht ausgenommen, weil das Fasten ihren Körper zusätzlich belasten könnte. Trotzdem möchten manche Muslime nur ungern auf diese religiöse Pflicht verzichten – und beziehen oft auch ihre Medikation mit ins Fasten ein. Für den Arzt und das Praxisteam kann es deshalb wichtig sein zu wissen, wie der Patient sich konkret verhält, um ihn klar über die möglichen Folgen aufklären zu können.
Die Einhaltung der islamischen Speisevorschriften ist eine weitere islamische Grundpflicht. Dass Muslime ganz auf Schweinefleisch verzichten, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist dass sie auch auf Arzneien verzichten, die nach den islamischen Quellen als verboten (haräm) geltende Mittel enthalten. Darunter fallen beispielsweise alle alkoholhaltigen flüssigen Arzneien sowie aus dem Schwein gewonnene Präparate. Das kann etwa Gelatine bei Kapseln sein.
Die Zeitschrift Ethik in der Medizin beschreibt folgendes Fallbeispiel: Einem unfreiwillig kinderlosen muslimischen Mann wird ein Präparat verschrieben. Als der Patient recherchiert und feststellt, dass dieses Präparat aus Schweinepankreas gewonnen wird, bricht er die Therapie ab. Er wollte kein Kind, das mithilfe eines Präparats gezeugt wird, das Schweineanteile enthält.
Es ist also immer wichtig herauszufinden, ob religiöse Pflichten bzw. Speisevorschriften und therapeutische Maßnahmen miteinander in Konflikt stehen. Neben einer sensiblen Aufklärung durch den Arzt kann die Empfehlung sinnvoll sein, sich gegebenenfalls individuelle theologische Beratung durch einen Imam zu holen – einen Vorbeter in der Moschee.
Am Ende des Lebens
Der islamische Grundgedanke, der den Körper des Menschen nicht als persönliches Eigentum, sondern als eine dem Menschen von Gott anvertraute Gabe versteht, bietet generell keinen Raum für jede Art von Sterbehilfe. Entscheidend ist auch die Rolle der Familie bei der Entscheidung über lebensverlängernde bzw. -erhaltende Maßnahmen. Der Wunsch und Anspruch auf familiäre Mitbestimmung bei solchen Entscheidungen kollidiert eindeutig mit dem Prinzip der Patientenautonomie.
Auch unter Muslimen gibt es viele verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Einstellungen. Ein einfühlsames Erfragen der jeweiligen Position durch Arzt und Praxisteam ist hier von großer Bedeutung.