Stresstest Corona-Pandemie
Impfen und andere Herausforderungen
Am 27. April 2021 hatte der Notruf auch das öffentlichrechtliche Fernsehen erreicht. Unter dem Titel „Impfkampagne: Medizinische Fachangestellte am Limit“ berichtete der NDR in der Sendung Panorama über den ständig wachsenden Impfstress in den Hausarztpraxen. „Man wird nachts wach, überlegt was man getan hat, was man nicht getan hat. Es gibt Kolleginnen, die wachen morgens mit Herzklopfen auf, weil der Tag beginnt und gehen abends mit Herzklopfen ins Bett, weil sie ihrem Beruf nicht gerecht werden“, sagt eine MFA aus Niedersachsen dort.
Die Praxis öffnet um 8:00 Uhr, sonst begann ihr Arbeitstag immer um 7:30 Uhr. Jetzt um 6:30 Uhr. Denn ab 8:00 Uhr klingelt nur noch das Telefon, vor allem geht es um Impftermine. Neben dem normalen Betrieb müssen hunderte Impftermine vergeben werden, da bleibt eine Menge der normalen Arbeit liegen. Die in dieser Praxis dann nach Feierabend oder eben am frühen Morgen erledigt wird. Kein optimaler Zustand. Nicht immer lief die Kommunikation von politischer Seite reibungslos und so meldeten sich auch viele Anrufer in der Praxis, die noch gar nicht für eine COVID 19-Impfung an der Reihe waren. Denen mussten die MFA erklären, dass das Impfangebot leider noch nicht für sie gilt – was schwierige Diskussionen auslösen kann.
Dass es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt, bestätigt auch der Verband medizinischer Fachberufe (VmF). „Wir haben Ende März in Briefen an die Kassenärztlichen Vereinigungen und hausärztlichen Berufsverbände auf Bundesund Landesebene darauf hingewiesen, dass die Politikerinnen, Institutionen, ärztlichen Berufsverbände und Arbeitgeberinnen die Regelungen zur Terminvergabe klar und deutlich kommunizieren sollen“, berichtet Verbandspräsidentin Hannelore König. „Es war abzusehen, dass die grundsätzlich hohe und seit Beginn der Pandemie zunehmende Stressbelastung der medizinischen Fachangestellten mit den Impfungen in den Arztpraxen eine zusätzliche Steigerung erfährt.“
MFA sind neben dem Praxisalltag nicht nur an der Planung der Impftermine beteiligt. Auch das Vorbereiten des Impfstoffes und der dazugehörigen Utensilien, die Betreuung der Patientinnen und Patienten vor und nach der Injektion sowie die Dokumentation in der Praxisverwaltungssoftware fällt in ihren Zuständigkeitsbereich. Und schließlich delegiert die Praxisleitung oft auch die Impfung an MFA, wenn diese dafür in der Ausbildung eine entsprechende Qualifikation erworben haben. Ein aktuelles Stimmungsbild gibt eine Studie der Universität WittenHerdecke (siehe Interview).
Viele gesundheitliche Risiken
Der Stress rund ums Impfen ist ohne Frage ein hohes gesundheitliches Risiko für jede MFA. Aber nicht das einzige. Durch die hohe Zahl an Patientenkontakten ist auch das Infektionsrisiko erheblich.
Nach einer Auswertung des Wissenschaftlichen Institus der AOK (WIdO) waren Menschen, die in der Betreuung und Pflege anderer Menschen arbeiten, in den vergangenen zwölf Monaten am häufigsten wegen einer COVID-19-Erkrankung am Arbeitsplatz ausgefallen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Altenpflege mit 5.409 je 100.000 Beschäftigten waren am stärksten von Krankschreibungen betroffen, MFA belegen mit 4.666 je 100.000 Beschäftigten aber auch einen Platz in der Spitze der am häufigsten betroffenen Berufsgruppen. Von insgesamt mehr als i nfo praxisteam 5 17.000 AOK-versicherten Erwerbstätigen mit einer im Labor bestätigten COVID-19-Diagnose mussten acht Prozent der Betroffenen in einem Krankenhaus behandelt werden. Fast 460 dieser stationär behandelten Patienten starben im Krankenhaus. Die Rate der Hospitalisierungen unter den Erwerbstätigen ist in der zweiten Welle ab Oktober noch einmal gestiegen.
Die wichtigsten Fragen zur Impfung
Wie bei allen Impfungen gilt auch hier: Die Impfung kann an eine MFA delegiert werden, wenn sie nachweislich dazu qualifiziert und geschult wurde. Der delegierende Arzt muss sich aber von dieser Qualifikation überzeugen und in unmittelbarer Nähe aufhalten. Impfanamnese und Impfaufklärung sind aber nicht delegierbar. Die Impfung wird im Impfausweis dokumentiert. Personen ohne Impfausweis können eine Ersatzbescheinigung zur COVID-19-Schutzimpfung erhalten.
Die Organisation der Impftermine bleibt den Praxen überlassen. Viele richten dazu Impfsprechstunden oder Impfnachmittage ein. Leider war es insbesondere in der Anfangszeit nicht unwahrscheinlich, dass Termine abgesagt werden müssen, weil die Praxis weniger Dosen erhalten hatte als bestellt wurden. Der mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer enthält sechs Dosen. Er muss innerhalb von 120 Stunden verbraucht werden. Beim Vakzin von AstraZeneca sind zehn Dosen in einem Behältnis, die nach der Öffnung zügig verimpft werden müssen.
Zu bedenken ist der Abstand zwischen Erst- und Folgeimpfung. Er beträgt bei dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer sechs Wochen und bei dem von AstraZeneca zwölf Wochen. Planen Sie die Folgeimpfungen möglichst frühzeitig ein, sodass ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen. Wenn Sie eine digitale Terminvergabe nutzen, ist diese Funktion oft schon automatisch integriert. Das Deutsche Institut für Fachärztliche Versorgungsforschung (DIFA) stellt allen Arztpraxen eine Impfanwendung zur Verfügung. Sie hilft die Impfabläufe zu vereinfachen und die Verweildauer in der Praxis zu verkürzen. Auch die Möglichkeit zur Meldung von Nebenwirkungen ist integriert.
Die Impfung abrechnen
Zu den wichtigen Fragen rund um die COVID-19-Impfung gehört auch die nach den Abrechnung. Praxen erhalten pro Impfung 20 Euro, bei ausschließlicher Impfberatung 10 Euro, beim Hausbesuch 35 Euro + Impfung. Für die Erstellung eines Priorisierungszeugnisses gibt es 5 Euro + 90 Cent Porto. Für Erst- und Zweitimpfung zusammen also insgesamt mindestens 40 Euro.
Pro Impfstoff gibt es eine Pseudoziffer, 88331 für BioNTech/Pfizer, 88332 für Moderna (der aber nur in Impfzentren verarbeitet wird) und 88333 für AstraZeneca. Diese Pseudoziffern werden jeweils um Buchstaben (Suffixe) für die Impfindikation ergänzt, wobei der erste Buchstabe für die Erst-Impfung und der zweite Buchstabe für die Zweit-Impfung steht: A/B = Indikation „Allgemein, V/W = Indikation „Beruf “. G/H = Indikation „Pflegeheimbewohner/in“. Die Impfung wird mit ICD-10-Code U11.9 kodiert, auch Nicht-GKV Versicherte werden über die KV abgerechnet.
Angesichts der voraussichtlich weiter steigenden Zahl an Impfungen in den Arztpraxen fordert der VmF, dass die notwendigen zusätzlichen personellen und zeitlichen Ressourcen in Abhängigkeit von der räumlichen Situation für Impfungen geplant, gesichert und entsprechend honoriert werden. „Nur so können die MFA ihre zentralen Aufgaben in der ambulanten Versorgung der Versicherten und in der verstärkten Impf- und Teststrategie übernehmen“, sagt VmF-Präsidentin König.
Interview
© privat
Michaela Maas ist MFA und Studienassistenz am Lehrstuhl für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung der Uni Witten-Herdecke.
Was ist eine Flashmobstudie?
Bei einer Flashmobstudie werden in einem sehr kurzen Zeitraum von vielen Teilnehmern gleichzeitig Daten zu einer bestimmten Fragestellung erhoben. In unserer Studie betrug der Zeitraum der Untersuchung nur einen Vormittag, damit der Aufwand für die Teilnehmer gering ist.
Welcher Fragestellung sind Sie in dieser Studie nachgegangen?
Wir haben erfasst, wie viele Anrufe zu COVID-19 an einem Praxistag eingehen und zu welchen Aspekten. Weiterhin wurde erfragt, wie stressig diese Anrufe für die MFAs jeweils waren und welche allgemeinen Belastungen die CoronaPandemie im Praxisalltag für die Praxisteams mit sich bringt.
Was haben Sie zur Belastung von hausärztlichen Praxisteams durch Telefonanrufe zu COVID-19 gelernt?
Ende Juni werden die ersten Ergebnisse auf der Internetseite zu finden sein www.flashmobstudie.de. Einige Hausarztpraxen haben uns bei der Rekrutierung zurückgemeldet, dass ihre aktuelle Arbeitsbelastung durch den Impfstart in den Praxen so extrem hoch ist, dass sie trotz Interesse nicht in der Lage sind, an der Flashmobstudie teilzunehmen. Weil einige dieser Praxen mit sehr hoher Arbeitsbelastung gar nicht teilgenommen haben, könnte es daher sein, dass es in unserer Studie zu einer Unterschätzung des allgemeinen Aufkommens von Anrufen zu Corona in den Hausarztpraxen kommt. Eine genauere Auswertung dazu wird noch folgen.